sub-noise

>adam

1

Er war nackt und schlief, als sie ihn fanden. Sie nahmen ihn, trugen ihn davon und betteten ihn zur Ruhe.

2

Plötzlich war er wach. Er lag auf dem Boden. Dunkelheit. Absolute Dunkelheit umgab ihn.
Kein Dämmern, kein noch so fahler Lichtschein, nichts als tiefe Schwärze lag vor seinen Augen. War es Nacht? Sterne konnte er keine sehen. Seine Augen durchstreiften das Dunkel. Wann würde die Sonne aufgehen? Und wo?
"Wo bin ich?" fragte er sich. Er wußte nicht, wo er sich befand. Er wußte es einfach nicht. Sein Gefühl sagte ihm, er läge auf einer großen, flachen Ebene. Oder befand er sich in einem Raum und draußen wartete bereits das Tageslicht auf ihn? „Bin ich vielleicht tot?“ Doch er konnte sich fühlen, hörte, wie sein Atem ging, spürte sein Herz schlagen. Er fühlte sich lebendig.
„Wo bin ich?“ fragte er sich wieder. Er setzte sich auf und rieb sich die Augen. Plötzliche Lichtblitze breiteten sich zu großen, orangefarbenen Flecken hinter seinen Augenlidern aus, die bald wieder verblassten. Dann wieder nichts, nur Dunkelheit. Nicht das leiseste Geräusch drang an seine Ohren. Keinerlei Gerüche reizten seine Nase, kein Windhauch ließ ihn erschaudern. Angst gesellte sich zu ihm. „Was für ein Ort ist das? Wie bin ich hierher gekommen?“

Er wusste nichts. Er wusste nicht einmal, wer er war. Das machte ihm Angst. Er strich mit den Händen über den Boden. Der fühlte sich warm und glatt an, genau so, wie es sein musste. Dann stand er vorsichtig auf. Nur nicht den Kopf stoßen! Auch die Luft war warm, aber nicht zu warm, genau richtig. Er streckte seine Arme aus und ging vorsichtig die ersten Schritte, tastete sich durch das Dunkel. Er taumelte. Kein Horizont, nichts, woran sich seine Augen hätten festhalten können. Doch langsam stabilisierte sich sein Gleichgewicht wieder. Der Boden blieb glatt, ohne Kanten und ohne Stufen. Er neigte sich nicht nach oben, nicht nach unten und nicht zur Seite. Nur geradeaus. Irgendwohin musste er führen! Er änderte die Richtung und wandte sich nach rechts und wieder nach links. Er ging schneller.
Nichts.
„Hallo!“ rief er. Keine Antwort. Kein Echo, kein Hall. „Haalloo!! Ist da jemand?“ Der Schall seiner Worte verschwand gestaltlos in der Schwärze. Er streckte die Arme nach oben – nichts. Er hüpfte vorsichtig, die Hände weiterhin schützend nach oben gerichtet. Er sprang so hoch er konnte. Nichts. Dieser Raum, wenn es denn einer war, hatte keine für ihn greifbaren Dimensionen. Da setzte er sich wieder hin. „Wohin soll ich auch gehen, wenn ich nicht sehe, wohin ich gelangen kann.“ sagte er zu sich.

Herauszufinden, wo er sich befand, war ihm nicht möglich.
Wie war er nur hierher gekommen? Wo war er vorher gewesen? Fragen bahnten sich mit mächtigen Schlägen ihren Weg durch seinen Kopf. Wer war er? Er besaß nicht die geringste Erinnerungen an ein Früher. Panik stieg in ihm auf. Er konnte deutlich fühlen, wie sein Puls immer schneller und kräftiger wurde. Er spürte ihn im Hals, im Bauch und im Kopf.
„Wo bin ich hier?!“ schrie er in das Nichts hinein. Als die Schläge in seinen Armen angekommen waren, bemerkte er, dass er heftig mit offenem Mund atmete. Er zwang sich zur Ruhe. Dann wieder diese Stille – nicht der kleinste Laut war zu hören.
Er verspürte keinen Hunger, nicht einmal Appetit und keinen Durst. Plötzlich ein Geräusch! Er drehte Kopf schnell nach rechts, denn von dort her kam es. Ein Pfeifen, ein sehr hoher Ton. Der Ton wanderte auch nach rechts. Kein Geräusch im Raum, nur ein Pfeifen im Ohr, das wieder verklang. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. Kein Unterschied. Er drückte sich die Hände auf die Ohren. Nur das Rauschen in seinem Kopf. Als er die Hände herunternahm, war es wieder still.

„Was geschieht hier mit mir?“ Die Frage füllte ihn vollkommen aus.
„Adam! Ich heiße Adam!“ Er konnte sich plötzlich an seinen Namen erinnern. Das war gut, denn dann könnte er sich vielleicht noch an mehr entsinnen. Wer hatte ihm diesen Namen gegeben? Woher kam er? Nichts. Er wusste es einfach nicht. Adam klatschte mit der Hand auf den Boden, stand wieder auf und begann zu gehen. „Irgendwann muss ich an eine Wand stoßen! Wenn ich eine Wand finde, gibt es auch eine Tür, die hier raus führt. Ich muss wissen, wo ich bin!“ Er ging und ging. Wie lange?
Er hatte keinerlei Zeitgefühl. Er ging. Immer geradeaus, immer weiter. Er hatte Vertrauen in die Ebenheit des Bodens gewonnen.
„Was soll das alles hier?“ fragte er sich, während ihn seine Füße weiter trugen. Träumte er vielleicht noch? Nein, das konnte kein Traum sein. Er wusste, dass er wach war. Er wusste es einfach. Während er ging, überlegte er: Was, wenn er nie an eine Wand stoßen würde? Müsste er hier verhungern? Würde irgendjemand ihn hier herausholen? War er überhaupt „drin“? Falls ja, was und wo war draußen? Er konnte sich nicht erinnern, was er getan hatte, bevor er eingeschlafen war. Er konnte sich an gar nichts erinnern, außer an seinen Namen. So wusste er wenigstens, wer er war. Wusste er das wirklich? Er war Adam! Er fühlte sich gut, von der Angst, in einem Irgendetwas eingeschlossen zu sein einmal abgesehen. Doch er wusste nicht, wie alt er war. Ihm fiel sein Geburtstag nicht ein! Welches Datum war heute? Seine Eltern – er musste sich doch an ihre Namen erinnern! Nichts.

Er ging und dachte nach. Hätte er einen Beruf, eine Arbeit? Konnte er sich überhaupt an andere Menschen erinnern? Niemand! Es konnte nicht sein, dass er keine anderen Menschen kannte! Doch wollte sich kein anderes Gesicht vor seinem geistigen Auge zeigen.
„Wie sehe ich eigentlich aus?“ Er wusste es nicht, er konnte sich in dieser perfekten Dunkelheit ja nicht einmal betrachten. Adam blieb stehen und betastete sein Gesicht. Eine glatte Stirn, tiefliegende Augen – von welcher Farbe auch immer, eine gerade Nase und ein kräftiges Kinn, mehr konnte er sich unter den Eindrücken, die er mit seinen Fingern aufnahm nicht vorstellen. Wie groß mochte er sein? Auch diese Frage konnte sich Adam nicht beantworten, da es nichts Sichtbares gab, was als Maßstab hvtte dienen können.

Er begann langsam zu verzweifeln. Er wusste so gut wie gar nichts von sich, wusste nicht, wo er sich befand und auch nicht, zu welcher Zeit er existierte. Trotzdem ging er weiter. Adam hatte eine Aufgabe gefunden.
Gab es hier vielleicht noch Andere außer ihm? Geantwortet hatte ihm jedenfalls keiner. War es möglich, dass er allein war? Ganz allein in diesem scheinbar unendlichen Nichts gefangen? Gefangen oder frei? Er überlegte. Bis jetzt hatte ihn niemand gefragt, warum er hier war. Er hätte sich darüber gefreut, einem Menschen zu begegnen, der ihm Fragen stellt, obwohl er selbst auf der Suche nach Antworten war! Bis jetzt hatte er niemandem gegenüber Rechenschaft darüber ablegen müssen, was er hier tat. Frei war er trotzdem nicht. Er konnte nicht das tun, was er wollte. Adam wollte wissen, wie er hierher gekommen war, wer er war, wo er war und wann er war.

Er lauschte dem leisen Geräusch, das seine Schritte verursachten und bekam plötzlich wieder Angst. Was, wenn gleich hinter ihm eine Gefahr lauerte? Adam fühlte sich beobachtet. Er blieb abrupt stehen und schlug mit einer Hand nach hinten aus. Nichts, nur Luft. Er horchte in das Nichts hinein. Nur sein eigener Atem, der stoßweise ging. iese Dunkelheit, so absolut makellos schwarz. Obwohl sich seine Augen so sehr daran gewöhnt haben mussten, dass ihm jedes noch so kleine Licht nicht hätte entgehen können, sah er nichts. Die Angst kroch seinen Hals empor und schloss sich um seine Kehle. Wieder konnte er seinen Puls hören.
Dumpf hämmerte sein Herz im Körper. „Ruhig, Adam!“ Er zwang sich, wieder langsam zu atmen und ging dann weiter. „Was wird mit mir geschehen?“ fragte sich Adam. Würde er bis zur totalen Erschöpfung gehen müssen und dennoch nie eine Antwort finden? Würde er hier sterben? Vielleicht könnte er sich einfach hinlegen und einschlafen. Morgen würde dann wieder alles normal sein. Doch was war denn normal? Er hatte keine Erinnerungen an eine andere Zeit, an andere Zustände, und trotzdem wusste er, dass seine momentane Situation alles andere war, nur nicht normal. Es musste früher einmal Licht geben haben, sonst würde er diese Dunkelheit schon längst akzeptiert haben. Er war doch früher sicherlich nicht allein gewesen. Warum denn sonst fühlte er sich jetzt einsam?

Trieb hier jemand einen Scherz mit ihm? Wenn ja, dann fand Adam nichts Komisches daran. Er ging immer noch. Wie lange schon, wie weit war er bereits gegangen? Wäre es nicht vielleicht besser gewesen, an dem Platz zu bleiben, an dem er aufgewacht war? Vielleicht würde er dort eher Antworten bekommen. Doch wer sollte ihm antworten. Wer auch immer ihn hierher gebracht hatte, würde ihn auch wieder finden, selbst wenn er noch so weit ging. Was würde Adam dann sagen? Würde er sein Gegenüber an den Schultern packen, es schütteln und ihm die Frage nach dem Warum entgegenschreien? Wie sollte er hier jemanden erkennen? Oder würde er einfach nur eine Stimme hören, eine Stimme, die sagte: „Du bist hier, weil…“? Ja, warum? Warum war er hier? Hatte er sich selbst in diese Lage gebracht? Er konnte sich nicht erinnern. Zu welchem Zweck hätte ihn jemand hierher bringen können? Um was herauszufinden?

3

Sie sahen ihm zu, beobachteten, wie er sich in der Leere und in seiner Einsamkeit wand. Sie nahmen seine Rufe und all seine Fragen wahr. Doch sie antworteten ihm nicht.
Sollte er suchen. Sollten sich die Dinge entwickeln…

4

Adam ging. Allmählig fühlte er sich erschöpft. Doch er lief weiter. Er wollte sich keine Pause gönnen, wollte herausfinden, weshalb er hier war. Antworten auf seine Fragen zu finden, war sein Antrieb, also ging er. Die Dunkelheit machte ihm nichts mehr aus. Trotzdem hielt er die Augen geöffnet. Vielleicht taucht ja doch noch ein Licht auf; auch wenn es ein noch so kleiner Schimmer wäre – er durfte ihn nicht übersehen! Seine Arme schwangen gleichmäßig mit seinen Schritten mit. Adam hatte keine Angst mehr, gegen eine Wand zu stoßen. Nein, er wünschte sich nichts sehnlicher als das. Die Hoffnung hatte er nicht aufgegeben. Warum?
Er konnte sich nicht vorstellen, dass er in die Endlosigkeit laufen würde. Dennoch nagte der Zweifel an ihm. Warum besaß er keine Erinnerungen? Es musste welche gegeben haben – früher, in einer Zeit, die jetzt spurlos verschwunden schien. Würde er sich denn sonst überhaupt erinnern wollen? In ihm wuchs die Vermutung, ein Ereignis könnte seine Erinnerungen ausgelöscht haben – ein besonderes Ereignis. Etwas ganz außergewöhnliches, vielleicht das gleiche, was hin hierher verschlagen hatte.

Waren es vielleicht Menschen wie er gewesen, die ihn hierher gebracht hatten? Hatten sie ihn damit für etwas bestrafen wollen. Falls ja, war ihnen das gelungen. Wenn nun dieser Boden, auf dem er ging gar nicht an einer Wand endete? Was, wenn er sich auf einer riesigen Plattform befand, die ringsum von einem Abgrund umgeben war? Dann würde er, am Ende angekommen wohl seinen letzten Schritt gehen und fallen. Dann wäre wahrscheinlich alles vorbei, und er wäre erlöst. „Ist mir das egal?“ fragte sich Adam laut. Nein, es war ihm natürlich nicht egal. Er wollte leben, wollte Antworten auf seine Fragen finden.
Adams Beine fühlten sich immer schwerer an, und er wurde mvde. Bald würde er sich ausruhen müssen. Was, wenn er einschlief? Was wvrde ihn nach dem nächsten Erwachen erwarten? Adam bekam Angst davor, einzuschlafen. Musste er denn Angst haben? Wovor? Adam setzte sich auf den glatten Boden. Dieser Boden; den ganzen Tag war er auf ihm gegangen, war er sein Weg gewesen. Er klopfte mit den Knöcheln seiner Finger auf die glatte und reine Oberfläche. Unendlich dick mochte er sein, so dumpf verklang Adams Klopfen.

So müde er auch war; er wusste dennoch ganz genau, dass sein Ziel in den Antworten lag, die auf ihn warteten. Er würde einschlafen und wieder aufwachen, um dann weiter zu suchen. Gedanken strömten durch Adams Geist, während er immer tiefer in den Schlaf sank. Sein Kopf kippte nach vorn und Adam schreckte auf. Hatte er etwa schon geschlafen? Ja, Schlaf war genau das, was er jetzt brauchte. Er flog weiter durch seine Gedankenwelten, sank auf ihren Schwingen in einer großen Spirale immer tiefer hinab, bis er schließlich eine Stille erreichte, die der, in der er sich tatsächlich befand gar nicht so unähnlich war. In dieser Ruhe verharrte Adams Geist einen Moment. Dann traten Bilder aus der Dunkelheit hervor, und Adam begann zu träumen…

5

Wieder waren sie bei ihm und registrierten alles, was er wahrnahm, dachte und äußerte. Doch zum ersten Mal spürten sie, dass etwas Neues geschah. Es entwickelten sich Bilder, kurze Sequenzen, die keinen Sinn zu ergeben schienen. Sie sahen seine Träume, doch sie verstanden nicht, und so fragten sie sich, woher diese Bilder wohl kommen mochten. Bisher hatte sich der Kandidat gut gehalten und auf sehr interessante Weise entwickelt, doch jetzt erschien er ihnen fremd.